Eine der großen Zukunftsfragen, um den Klimawandel zu stoppen, ist: Wie kommen wir weg vom Individualverkehr im Auto hin zu integrierten, emissionsfreien, schnellen und intelligenten Mobilitätsketten in der Stadt, auf dem Land und zu Wasser. Genau hier setzt das Verbundprojekt CAPTN (Clean Autonomous Public Transport Network) aus Kiel an.
Die Vision: Mit dem Wassertaxi fix zur Arbeit fahren, sich den Wind um die Nase wehen lassen, statt stundenlang mit dem Auto im Stau zu stehen, das soll in Kiel und auch anderswo bald Wirklichkeit werden. Geplant sind kleine Fähren ohne Kapitän und festen Fahrplan, die auf Förde, Fluss oder Fjord je nach Bedarf über eine App auf dem Smartphone rund um die Uhr geordert werden können. Das Ziel von CAPTN ist, eine flexible, emissionsfreie und autonome Mobilität für Pendler und Touristen zu verwirklichen. Fahrräder und Busse sollen in das neue umfangreiche Konzept ebenfalls mit einbezogen werden. Zudem kann CAPTN später überall eingesetzt werden: Sei es auf der Elbe, der Themse, vor Dubai oder zwischen Malta und der Insel Gozo. Erste Anfragen gibt es schon.
Das Projekt: Seit 2018 Jahren arbeiten hochrangige Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft gemeinsam an CAPTN. Initiiert wurde das Leuchtturmprojekt von der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel und gefördert in diesem Frühjahr mit über 6 Millionen Euro vom
Bundesverkehrsministerium. Bereits in wenigen Wochen wird auf der Werft mit dem Bau eines Katamarans aus Aluminium, 20 Meter lang und 9 Meter breit, begonnen. Zeitgleich wird ein digitales Testfeld auf der Kieler Innenförde installiert. Darauf wird ein neu gebauter Versuchsträgers erprobt, ausgestattet mit den unterschiedlichsten Sensoren, um später im Einsatz Kreuzfahrtschiffe, Segler, Marineboote, Windsurfer oder Ruderer rechtzeitig erkennen zu können. Und genau deswegen präsentiert sich CAPTN vom 11. Bis zum 15. Oktober 2021 auf dem ITS-Weltkongress (World Congress on Intelligent Transport Systems) in Hamburg – dem größten Branchentreffen weltweit passend zu dem diesjährigen Motto „smart and autonomous, driving the future mobility for 150 years“. Das Zitat: Besonders stolz auf die wegweisende Initiative ist Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz: „Mit CAPTN wird in Schleswig-Holstein ein zukunftsweisendes Verkehrskonzept umgesetzt. Das Projekt mit seinen vielen innovativen Ansätzen ist nachhaltig und bietet ebenso intelligente wie praktikable Lösungen auf Basis neuer Technologien. CAPTN hat internationalen Modellcharakter und verdeutlicht zugleich die großen Potenziale von Wissenschaft und Wirtschaft in Schleswig-Holstein.“ Die größte Herausforderung ist bei CAPTN nicht nur den Forschungs-Katamaran unfallfrei zu navigieren, sondern auch die Künstliche Intelligenz stimmig zu programmieren. Damit auch der Transport der hochkomplexen, digitalen Datenmengen lückenlos garantiert werden kann – ohne Systemausfall mit schwerwiegenden Folgen – ist bereits ein 5G-Netz auf der Förde installiert worden.
Informationen: Als Interviewpartner stehen zur Verfügung Prof. Dr. Dirk Nowotka, Informatiker an der CAU, Björn Schwarze, Gesellschafter der ADDIX GmbH oder die Koordinatoren von CAPTN Dr. Wiebke Müller-Lupp, Geschäftsführerin der Wissenschaftszentrums Kiel GmbH und Dr. Karsten Pankratz, Innovationsscout der CAU. Im Folgenden finden Sie schon einmal zwei Beispiel-Interviews. Bilder, Videos, Links und Kontaktdaten finden Sie am Ende der PM. Das Interview mit Prof. Dr. Dirk Nowotka, Leiter der Arbeitsgruppe Zuverlässige Systeme an der CAU.
Frage: Die CAPTN Fähre soll ohne Kapitän fahren – warum? Viele haben Sorge, dass dadurch Arbeitsplätze wegfallen. Nowotka: Wir erwarten von unserem ÖPNV, auch auf dem Wasser, dass er nach Möglichkeit flexibel, kostengünstig und rund um die Uhr verfügbar ist. Autonome Wasserfahrzeuge bieten dafür einen Lösungsansatz. Mit der Digitalisierung befinden wir uns in einem Strukturwandel, in welchem sich Berufsbilder ändern und neue Tätigkeitsfelder entstehen. Das passiert in allen Lebensbereichen, nicht nur in der Fährschifffahrt. Gleichzeitig werden auch neue Berufsbilder und Arbeitsplätze mit der Einführung autonomer Fähren entstehen, wie zum Beispiel in der Wartung, der Fernsteuerung oder der Entwicklung neuer digitaler Systeme. Frage: Mit dem Katamaran wird ein digitales Testfeld installiert. Was genau soll
getestet werden? Nowotka: Als digitales Testfeld bezeichnen wir das Areal der Förde, auf dem wir unseren Versuchsträger, der demnächst gebaut wird, fahren lassen können. Der Platz auf dem Katamaran dient der Installation von technischen Geräten, z.B. Sensoren und Rechnern. Auf dem Wasser, dem eigentlichen Versuchsfeld, werden wir dann diverse Manöver, wie beispielsweise Anlegen oder Ausweichen, sowie unterschiedliche Fahrsituationen herbeiführen, um unsere Assistenzsysteme zu entwickeln.
Frage: Welche Messgeräte kommen zum Einsatz, um die nötigen Daten zu erheben?
Nowotka: Wir werden im Wesentlichen Kameras, Radar- und Lidar-Sensoren verwenden. Das WaveLab, so heißt der Versuchsträger, kann aber auch andere Sensoren aufnehmen, z.B. Infrarot- oder Sonar-Sensoren.
Frage: Was sind die größten Herausforderungen, um eine autonom fahrende Fähre die Förde (oder vielleicht auch andere Wasserstraßen wie die Elbe) befahren oder queren zu können?
Nowotka: Die größte Herausforderung besteht sicherlich in der vorausschauenden Fahrweise in komplexen Verkehrssituationen. Ein einfaches Ausweichen ist relativ leicht zu realisieren, aber sich nach einer Reihe von Manövern immer noch in einer guten Situation, d.h. sicher und wieder auf Kurs, zu befinden, ist nicht ganz so einfach. Hinzu kommt natürlich auch, dass man in einer unübersichtlichen Situation auf dem Wasser nicht mal eben rechts ranfahren kann, so wie im Straßenverkehr. Das Schiff muss deswegen ständig in einer kontrollierten Bewegung sein.
Frage: In welchem Umfang kommt hier die KI zum Einsatz?
Nowotka: KI-Methoden kommen an verschiedenen Stellen zum Einsatz, beispielsweise bei der Bildauswertung, der Zeitreihenanalyse bestimmter Sensoren, der Situationsbewertung und gegebenenfalls Routenplanung. KI-Methoden werden aber nicht allein für sich stehen, sondern zusammen mit anderen etablierten Methoden, wie z.B. regelbasierten Systemen, Gleichungssystemen oder Methoden aus der Logik eingesetzt.
Das Interview mit dem Gesellschafter Björn Schwarze, der Firma ADDIX GmbH in Kiel.
Frage: Warum engagiert sich ADDIX bei CAPTN und mit welchen Aufgaben ist die Firma betraut?
Schwarze: ADDIX ist ein Service Dienstleister der auf eigener Technologie Internet zum Kunden bringt. Seit fünf Jahren bauen wir ein alternatives kostenfreies WLAN Netz für die Bürger:innen in Schleswig-Holstein auf. Diese für alle Menschen und Maschinen zugängliche kostenfrei Digitale Infrastruktur bietet ein großes Innovationspotential. Deswegen ist autonomes Fahren für uns ein sehr spannendes Forschungsfeld. Gerade durch die Verknüpfung der verschiedenen Projekte mit Wifi und 5G im Leistungsvergleich erwarten wir neue innovative Lösungen. Ein großer Teil unserer Forschung geht daher in die adaptive Kommunikation – wie kann das Fahrzeug auch bei unterschiedlichen Bandbreiten und eingesetzten Technologien sicher betrieben werden. Heißt im Klartext, dass die Fähre keinen Unfall baut, nur
weil das Internet kurzfristig schlapp macht.
Frage: Was sind die besonderen Herausforderungen bei einem Schiff im Vergleich zu einem autonom fahrenden Auto?
Schwarze: Wasser und Funkwellen vertragen sich nicht gut – vor allen Dingen, wenn es um hohe Bandbreiten mit niedriger Latenz geht. Wir müssen also sichere Vorhersagen treffen, welche Kommunikationsart für die autonome Fähre zur Verfügung steht bei unterschiedlichen Wetterlagen. Eine weitere Herausforderung ist das Schwankungsverhalten und die Trägheit eines Schiffes. Wie stelle ich sicher, dass der Abstand zum Ufer/Anleger korrekt erfasst wird und es keinen Zusammenstoß gibt, wenn die Kamera am Mast sich in der Welle um beispielsweise 10 Meter in der Position verändert?
Frage: Wie können die Datenmengen sicher übertragen werden. Zum einen für CAPTN und später auch für die Betreuung von Seglern oder Regatten.
Schwarze: Hier sind aktuell sowohl das Wifi 6 Konsortium, als auch das 3GPP Konsortium am spezifizieren. Im Grundsatz müssen wir im Rahmen dieser Projekte ermitteln, wie wir diese gesicherte Kommunikation zuverlässig herstellen können. Die Antwort auf die Frage ist also Teil unserer benötigten Forschung mit der CAU.
Frage: Lässt sich das Szenario von CAPTN auf der Förde auch auf die Elbe oder andere Wasserstraßen in unmittelbarer Nähe von Städten übertragen?
Schwarze: Wir brauchen die Vernetzung der Schiffe und Gegenstände, daher ist die adaptive Kommunikation für uns entscheidend. Ob es um eine Fähre an den Landungsbrücken, die Hafenrundfahrt oder die Alsterschifffahrt geht – wichtig ist die Erhöhung der Sicherheit durch Assistenzsysteme – denn das ist der erste Schritt zum autonomen Fährverkehr. Im Idealfall kann mittels des CAPTN Projektes die Überwasser Querung der Unterelbe so häufig sein, dass der Fluss keine Trennung, sondern im Gegenteil eine Verbindung zwischen Niedersachsen und Schleswig-Holstein darstellt. Das Wavelab wird an der Dockingstation aufgeladen, über das Kontrollzentrum an Land werden die Daten ausgelesen. Das Kontrollzentrum in seiner Doppelfunktion als Showroom an Land, der die Daten des WaveLab transparent an die anderen Teilnehmer des öffentlichen Nahverkehrs kommuniziert.
Kontakt:
Prof. Dr. Dirk Nowotka:
https://www.zs.informatik.uni-kiel.de/de/mitarbeiter/nowotka
Björn Schwarze: BS@addix.net, Tel: +49 431/7755 0
Dr. Wiebke Müller-Lupp
Geschäftsführung
Wissenschaftszentrum Kiel GmbH
Fraunhoferstraße 13
24118 Kiel
T: +49 431 200 866 20
M: +49 157 5099 1413
w.mueller-lupp@wize-kiel.de
Daniel Laufs
Project Coordinator “CAPTN Förde Areal”
Wissenschaftszentrum Kiel GmbH
Fraunhoferstraße 13
24118 Kiel
T: +49 431 200 8801543
M: +49 157 5099 1413
d.laufs@wize-kiel.de